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Deutsch-französische Freundschaft an der MSO – Was bringt ein Schüleraustausch?

Deutsch-französische Freundschaft an der MSO – Was bringt ein Schüleraustausch?

Als wir in der französischen Schule in Le Mans ankommen, müde und noch ein wenig desorientiert, springt der Direktor auf einen der Tische in der Mensa und beginnt, voller Elan, eine Rede zu halten. Wenn ich ehrlich bin, verstehe ich nicht viel, es ist ja gerade unser erster Tag in Frankreich und mein Kopf hat sich sprachlich noch nicht wirklich umgestellt, doch ein Thema kann ich verstehen: Der Direktor redet über die Wichtigkeit der deutsch-französischen, der europäischen Freundschaft. Gerade in Zeiten des Krieges sei solch ein Austausch und die Bereitschaft der Leute, daran teilzunehmen enorm wichtig. Auf den ersten Blick mögen es ein Schüler und sein oder ihr Austauschpartner sein, doch in den nächsten Tagen wird uns klar, dass an so einer interkulturellen Unternehmung mehr als nur ein paar Leute beteiligt sind, davon profitieren können und überhaupt erst – wie in unserem Fall Madame Ismael, Frau Klose und Frau Wagner sowie alle Gastfamilien – dafür sorgen, dass sie funktioniert.

Der Vater meiner Austauschpartnerin ist immer voller Humor und Neugier, mit intelligenten Augen. Jeden Abend setzt er sich und schaut Nachrichten, wenn ich da bin, setze ich mich dazu. Wir beginnen, uns über Politik zu unterhalten, er fragt nach unserer alten Kanzlerin. Die Deutschen nennen sie Mutti, erzähle ich ihm. Er nennt mir die Vokabel für Demonstrationen, manifestations. Der Freund meiner Austauschpartnerin fragt mich nach dem Rentenalter in Deutschland, dann macht er große Augen „67? Und WIR protestieren?“

In Frankreich werde ich gefragt, ob ich Birkenstocks trage. Nirgends habe ich mich je so deutsch gefühlt. Eine Buchhändlerin zitiert mir mit einem weiten Lächeln ein deutsches Gedicht. Ich lerne, dass Franzosen Schokoladentafeln aufs Brot essen, und ich lerne tatsächlich, dankbar für das deutsche Schulsystem zu sein. Man kennt als deutscher Schüler keine Langweile, denke ich grimmig, als ich im Unterricht sitze. Ich lerne eine ganze Menge, aber vor allem mache ich die Erfahrung, wie bereit die meisten sind, bei der Kommunikation zu helfen. Es bildet sich das gemeinsame Ziel, den anderen zu verstehen, und daraus wird ein großes Lächeln, ein Lachen, ein kleines Erfolgserlebnis.

Ich lerne, Deutschland aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten. Die Vorteile, das gute Schulsystem, alles, was ich gewohnt bin, doch auch das, was in unserer Kultur verloren zu gehen scheint. Wenn hier in Deutschland jemand mit Akzent spricht, fragt niemand, woher der oder diejenige kommt, und erst recht beginnen wir nicht, Gedichte in der Muttersprache der Person aufzusagen. Doch ich denke, wir sollten damit beginnen. Denn das Gefühl, dass mir diese kleinen Unterhaltungen geben, ist herzerwärmend. Wenn ich also zurückblicke und mich frage, wieso sich so ein Austausch lohnt, dann fallen mir viele Gründe ein. Das Spracherlebnis ist schlicht und einfach ein völlig anderes, da kann keine Audio-CD aus „À Plus!“ mithalten. Die Dinge, die man lernt, das wohlige Gefühl des Aufgenommenwerdens. Die Dinge, die ich über Deutschland erzählen und teilen kann. Wenn man in ein fremdes Land geht, hinterlässt man immer einen Eindruck, der in den Köpfen der Leute direkt mit der Nationalität korreliert. Warum also nicht auf alles einlassen und einen guten hinterlassen? Nur durch gegenseitige Offenheit, Neugier, das Weglachen von Fehlern und Patzern kann eine länderübergreifende Freundschaft entstehen. Ohne dies ist die EU nichts als eine Flagge und ein Vertrag auf dem Papier. Allein dieser Fakt macht einen Austausch lohnenswert.

Text: Shirin Hejazi
Fotos: MSO

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